Kulturschock Singapur

Ho Chi Minh City, Vietnam: In aller Frühe standen wir auf, nahmen die Rucksäcke und verließen unser Hostel, um zur Bushaltestelle zu laufen. Es war kurz nach Vier und im Park war bereits der Teufel los. Vietnamesen beim Joggen, Vietnamesen beim Tischtennis, Vietnamesen beim Federball, Vietnamesen bei Klimmzügen. Und allesamt waren sie rund 70! Ach Vietnam, ich werde dich vermissen.


Am Busbahnhof fuhren im Sekundentakt Linienbusse ab, allesamt an der Haltestelle vor uns.
Linie 45, 33, 02, 15, 45, 88, 149, 41, 05, ...
Als mit reichlicher Verspätung die Nummer 109 eintraf, riefen Krissi und ich laut BINGO und sprangen in den Bus. Wir waren die Einzigen und der Ticketverkäufer kam erst nach fünf minütiger Fahrt zu uns getrottet, um das Geld entgegen zu nehmen. Mir war furchtbar schlecht und ich schlief bis zur Ankunft am Flughafen. Dort ging es mir nicht besser. Ich setzte mich auf die Polsterstühle, während Krissi das Gepäck​ aufgab und die Boardingcards abholte. Zu allem Übel war vor dem Security Check-in eine endlose Schlange, sodass ich mich beim Warten immer wieder auf den Boden hockte... Ganz viele liebe Menschen fragten was los sei und ob sie helfen könnten. Sogar eine Ärztin war dabei, die mir nach der Sicherheitskontrolle eine Tablette in die Hand drückte und Alles Gute wünschte. Nach zwei Flugstunden Schlaf ging es mir dann auch wieder ganz passabel und ich war bereit für unser Ziel. Singapur!
Zurück auf dem Erdboden füllten wir die Einreisepapiere aus, scannten unsere Fingerabdrücke,  Fragen, ließen uns biometrisch fotografieren und unterzogen das Gepäck noch einer extra Zollkontrolle. 
Oha, war das hier wirklich noch Asien?

Wir wollten hier zum ersten Mal couchsurfen. Couchsurfing ist eine Plattform, auf der man kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten überall auf der Welt findet. Diese werden von Leuten angeboten, die selber couchsurfen oder einfach nur andere Reisende/Kulturen kennenlernen wollen. Also hatten wir uns einen Typen namens Bobby heraus gesucht, der für eine Nacht unser Gastgeber sein wollte. Netterweise holte er uns vom Flughafen ab und führte uns direkt zum Fahrkarten-Schalter für die Metro. Wir bezahlten pro Person 16 Singaporedollar (entspricht ca. 10€) und konnten damit in den nächsten zwei Tagen so viel Bus und Bahn fahren wie wir Lust hatten.
The Singapore Tourist Pass
Bobby stammt eigentlich aus Bulgarien, hat aber schon in anderen europäischen Ländern gelebt, da seine Eltern als Musiker arbeiten. Als er 12 war, ist seine Familie nach Singapur gezogen. Er lebt mittlerweile wieder in seinem Geburtsland, war aber momentan hier bei seiner Mutter zu Besuch. 
Die Fahrt zu ihm nach Hause dauerte eine halbe Ewigkeit und war mit einigen Umstiegen verbunden. Als wir auf die nächste U-Bahn warteten, verriet uns Bobby einen Trick, um die Zeit zu vertreiben: Überwachungskameras zählen.
Ich fing an und musste bei Nummero 28 aufhören, weil wir in die Metro einstiegen... Das sagt wohl alles, oder?
In der Bahn zeigten kleine Bildschirme kurze Filmchen über diverse Verhaltensnormen. Als ob der Staat seine Gesellschaft erzieht, dachte ich.
"Propaganda." sagte Bobby leise, als er meinen Blick bemerkte. Außerdem wies er mich darauf hin, dass Singapur für beispielsweise Drogenhandel die Todesstrafe verhängt.
Sowieso ist hier übermäßig viel reguliert oder verboten (zum Beispiel der Playboy, "da die singapurische Gesellschaft noch nicht bereit für die freizügigen Fotos sei").
Essen/Trinken (inklusive Wasser und Kaugummi), Rennen, Springen und die Mitnahme der besonders übel riechenden Frucht Durian in öffentlichen Verkehrsmitteln sind untersagt und werden gegebenenfalls mit hohen Geldstrafen geahndet. 
Wird einem "Lügerei" nachgewiesen, kann das die Prügelstrafe zur Folge haben. 
Dafür gilt Singapur als sauberster und sicherster Ort der Welt. Logisch, bei dieser Überwachung, einer gut "erzogenen" Bevölkerung und strengen Gesetzen. 
Einen stärkeren Kontrast zu Vietnam (besonders Ho Chi Minh City) hätte es wohl kaum geben können. Dort, wo es an den vielen Ecken so dreckig ist wie Zuhause nur auf der Müllhalde. Wo du ständig vor Raubüberfällen auf offener Straße gewarnt wirst. Wo es ansonsten keinen interessiert, was du den lieben langen Tag treibst. 
Und hier, wo es so rein und sicher ist, wie nirgendwo sonst. Alles kam uns ein bisschen utopisch vor, hier, im totalen Überwachungsstaat. Vielleicht lag es am Kulturschock.

Nachdem wir kurz die Rucksäcke bei Bobby abgestellt hatten, besuchten wir zusammen den wirklich wunderschönen botanischen Garten und entdeckten sogar einen riesigen Waran am Wasser.
Schildkröten-Beobachten



In der Dämmerung liefen wir Richtung Downtown, vorbei an allerlei berühmten Hotels und Gebäuden. Bobby zeigte uns seinen ehemaligen Lieblingsplatz in einem Kaufhaus. Dort roch es überall unfassbar gut und wir testeten gleich mal die öffentlichen Toiletten. Ein Traum sag ich euch! So sauber! So komfortabel! (Bobby konnte unsere Euphorie nicht ganz nachvollziehen, aber was soll ich sagen nach drei Monaten Backpacking...)

Nach den mächtigen Einkaufszentren erreichten wir eine Brücke von der wir einen klasse Blick auf Skyline, Singapore River und das bekannte Marina Bay Sands hatten. Dort saßen wir eine Weile und beobachteten das abendliche Treiben. 




Nach einem langen Tag fielen Krissi und ich schließlich totmüde ins Bett. Zum Glück ließ uns Bobby ausschlafen und machte uns sogar selbst Frühstück (darüber war ich sehr dankbar, denn Essen im Restaurant oder aus der Bäckerei war hier einfach sündhaft teuer!).

Danach fuhren wir drei zum Nationalmuseum, das wir aber rückwärts wieder verließen, als wir die Eintrittspreise sahen. Gegenüber lag aber das Singapore Art Museum (SAM), auf das wir schon am Abend zuvor aufmerksam geworden waren. In dieses wollte Bobby allerdings nicht mit und entschied, in einem benachbarten Cafe zu warten. Die Galerien zum Thema "An atlas of mirrors" waren jedenfalls super schön!











Wir verweilten dort mehrere Stunden und trafen später auf einen sehr angefressenen Bobby vor dem Museum. Offenbar hatte es ihm überhaupt nicht gefallen, dass wir die Ausstellung ohne ihn besucht hatten und meinte, er hätte mit uns nur seine Zeit verschwendet. Ansonsten sagte er nicht viel. Bis wir vor der Metro zu den Gardens by the Bay standen. 
"Ihr wisst wie ihr zu mir kommt?" fragte er. 
Nicht wirklich, aber dann stiegen Krissi und ich in die Bahn und Bobby verschwand in der Menge. Wir drei waren einfach nicht auf einer Wellenlänge, um es zusammenzufassen. 

Als wir unser Ziel erreichten, setzte ein heftiger Regen ein, der die Schließung der die Skytrees verursachte. Uns blieben zwar noch Cloud Forest und Flower Dome, die beide überdacht sind, aber auch hier waren wir zu geizig für den hohen Eintritt.
Rechts im Hintergrund: die verregneten Skytrains


Leider war aufgrund des Unwetters auch der Betrieb Shuttlebusse zu den Metrostation eingestellt worden. Der Regen wollte partout nicht aufhören und uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten.
Oder doch?  
Los laufen war eine Option.
Also packten wir unsere Wertsachen in einen Plastikbeutel und rannten.
"GANZ DUMME IDEE" rief ich zwei Sekunden später und bereits vollkommen durchgeweicht. Wir hasteten gute 700 Meter durch die Parkanlage. 
Wenn ihr wie ich Kontaktlinsenträger seid und schon Mal mit offenen Augen in den direkten Regen geschaut habt, wisst ihr wie es mir ging.
Wenn nicht: ich war blind.
Nach einem halben Marathon öffneten sich vor uns automatische Glastüren und wir betraten tropfend ein großes, blitzblankes Einkaufszentrum. Dort nahmen wir die Rolltreppe zur unterirdischen Metro. In Singapur ist die Underground-Etage übrigens so perfekt ausgebaut, dass man quasi unter der ganzen Innenstadt shoppen gehen kann. Als wir nun triefend durch die Gänge liefen, fragte ich mich, wann die Leute hier unten das Letzte mal an der frischen Luft gewesen waren und überhaupt wussten was für ein Wetter/welche Tageszeit gerade draußen herrschte. 
Und, wenn man in der Bahn kein Wasser trinken durfte, war es dann strafbar, nass hier zu sitzen? Denkbar.

Jedenfalls fanden wir den Weg zurück zu Bobby problemlos, wenn auch komplett nass. Nach einer etwas unangehmen Verabschiedung fuhren wir samt Gepäck zum Flughafen. Es war zwar viel zu früh, da unser Flug erst am nächsten Morgen ging, aber wir wollten den hoch angepriesenen "besten Flughafen der Welt" auskosten. Dort angekommen wurden wir zuerst einmal unser Gepäck los  und zogen uns trockene Klamotten an. Über das kostenfreie Wlan des Airports recherchierte ich nach den Zeitvertreibsmöglichkeiten...
Schmetterlingspark, Orchideenfarm, Sonnenblumengarten, Schwimmbad, Kaktusgarten, Kino, Fußmassage, Xbox/Wii Spiele, undundundundund. Vor lauter Auswahl verdrückte ich erst einmal eine handvoll Kaubonbons, die hier überall herumlagen. 
Wir entschieden uns für die Fußmassage und begaben uns zurück zu einem größeren Terminal (laufen hätte ewig gedauert, ehrlich!). 
Schon bald sichteten wir die ersten Massagegeräte, leider besetzt. Nach zehn Minuten wurde der erste Sitz frei und ich platzierte meine müden Füße im weichen Polster. Oh ja, das hatte ich gebraucht! Das Gerät besaß 15 verschiedene Massagefunktionen, variabel mit/ohne Vibration und/oder Heizung einstellbar. Ich testete alles.
Nach ein bis drei Stunden (das wissen wir nicht mehr so genau) machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach einer Schlaflounge in unserem Terminal. Wir liefen gerade zur Skytrainstation, als Krissi etwas murmelte und in der Parfümabteilung eines Ladens verschwand. "Ich lauf schon langsam zur Haltestelle" rief ich ihr hinterher. Mir war bewusst, dass das länger dauern könnte und blieb auf dem Weg kurz am Teich stehen, um die Kois darin zu zählen. Nach über einer Viertelstunde wurde ich misstrauisch und ging zurück. Keine Krissi. Also sah ich am Skytrain nach. Keine Krissi. Zudem war vorher sowohl mein als auch Krissis kostenfreies Wlan abgelaufen. Kontaktaufnahme dadurch fiel also auch aus.
Ratlos lief ich die kurze Strecke auf und ab, bis eine Durchsage ertönte. Eine Stimme verkündete, dass die Skytrains in einer Viertelstunde schließen würden. Ich hoffte inständig, dass Krissi, wo auch immer sie sich aufhielt, zugehört hatte und stieg in den vorletzten Zug. Zum Glück war unser Abflugsterminal das kleinste und die Chance höher, sich wiederzufinden.
Ich ging die Sache ganz logisch an. So, wie Mama es mir beigebracht hat. 
Was machst du, wenn wir uns aus den Augen verlieren? Du gehst zu dem Ort, an dem wir uns zuletzt gesehen haben. 
Und wenn das nicht mehr möglich ist? 
Dann dort, wo man sich mit Sicherheit wiedertrifft: vor unserem Abflugsgate. 
Ich machte mich auf den Weg, hielt die Augen offen und durchstreifte nochmal kurz das Areal. Keine Krissi.
Meine Schlaflounge konnte ich zumindest knicken. 
Schließlich ließ ich mich auf den unbequemen Stühlen nieder. Stunde für Stunde verging. Ich fror, mein Magen grummelte und ich trauerte einer kuscheligen Schlafloungeliege hinterher. 
Außerdem ließ ich Singapur ein bisschen Revue passieren. Es war eigentlich ganz nett hier. Besonders wenn man auf Marken-Shopping steht und Bänker/Unternehmer/Bürofan ist. Oder eben Touri.
Singapur ist keine gewöhnliche Großstadt. Dafür ist sie viel zu grün, sauber und sicher (das einzig wirklich Gefährliche ist wahrscheinlich die Klimaanlage auf dem Flughafen. In der Kälte kann man sich den Tod holen).
Das hört sich gut an, eigentlich. Zu gut? 
Die Menschen bezahlen einen hohen Preis dafür: Privatsphäre.
Aus diesem Grund bin ich dann doch ganz froh weiterreisen zu können. Zurück ins asiatische Asien. 

Kurz vor der Boardingtime fiel ich in einen Sekundenschlaf, denn als ich die Augen wieder aufschlug, war Krissi schon dabei, mir von ihren Erlebnissen zu berichten (siehe inderzwischenzeit.blogspot.com)

Was für eine Nacht... Vereint konnte es nun endlich los gehen. Ab nach Bali!

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